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Die Entstehung des Morgenthau-Plan

Der Morgenthau-Plan von 1944 sah eine radikale Deindustrialisierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Der Morgenthau-Plan gehört zu den umstrittensten politischen Konzepten des Zweiten Weltkriegs. Entwickelt wurde der Plan von Henry Morgenthau Jr., dem damaligen US-Finanzminister und engen Vertrauten von Präsident Franklin D. Roosevelt. Der Morgenthau Plan entstand 1944, in einer Zeit, in der die Alliierten bereits an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland glaubten. Ziel war es, eine Nachkriegsordnung zu schaffen, die verhindern sollte, dass Deutschland jemals wieder zu einer militärischen Bedrohung für Europa werden könnte.

Morgenthau war überzeugt, dass Deutschlands industrielle Stärke die Wurzel seiner militärischen Macht darstellte. Seine Idee war daher, Deutschland in ein landwirtschaftlich geprägtes Land zu verwandeln. Der Morgenthau-Plan sah vor, die Schwerindustrie zu zerstören, die Kriegswirtschaft zu zerschlagen und das Land in mehrere kleinere, schwächere Staaten zu teilen. Auf diese Weise, so glaubte Morgenthau, würde Deutschland dauerhaft entmilitarisiert und politisch neutralisiert.

Die Rolle von Henry Morgenthau Jr.

Henry Morgenthau Jr. war nicht nur ein enger Freund von Roosevelt, sondern auch ein überzeugter Humanist, der das Leid der Opfer des Nationalsozialismus tief empfand. Als Sohn jüdischer Einwanderer betrachtete er den Krieg gegen Hitlerdeutschland nicht nur als politischen, sondern auch als moralischen Kampf. Der Morgenthau-Plan war daher in seinen Augen ein Mittel, um Gerechtigkeit zu schaffen und zukünftige Kriege zu verhindern.

Morgenthau war kein Militärstratege, sondern ein Finanzexperte. Dennoch gewann er im Weißen Haus großen Einfluss, insbesondere durch seine enge Beziehung zu Roosevelt. In Gesprächen mit anderen Regierungsmitgliedern drängte er darauf, eine harte Linie gegenüber Deutschland zu verfolgen. Der Morgenthau Plan war Ausdruck dieser Haltung – eine Vision, die ökonomische Strukturen gezielt zerstören wollte, um politische Stabilität zu sichern.

Die Reaktion Roosevelts und Churchills

Der Morgenthau-Plan wurde auf der Konferenz von Québec im September 1944 erstmals vorgestellt. Roosevelt zeigte sich zunächst interessiert, während der britische Premierminister Winston Churchill skeptisch reagierte. Churchill befürchtete, dass eine wirtschaftliche Zerstörung Deutschlands zu einer humanitären Katastrophe führen könnte. Dennoch unterschrieben Roosevelt und Churchill ein Memorandum, das einige Grundzüge des Plans unterstützte.

Als Details des Morgenthau Plan jedoch an die Öffentlichkeit gelangten, sorgte das in den USA und Großbritannien für Empörung. Viele Kritiker warnten, der Plan würde Millionen Deutsche ins Elend stürzen und den Boden für künftigen Hass bereiten. Auch Militärs befürchteten, dass ein wirtschaftlich ruiniertes Deutschland den Wiederaufbau Europas behindern würde.

Die Ziele des Morgenthau-Plan

Im Zentrum des Morgenthau-Plan stand die Deindustrialisierung Deutschlands. Die großen Industriezentren, insbesondere im Ruhrgebiet und in Sachsen, sollten stillgelegt oder zerstört werden. Maschinen und Anlagen sollten abgebaut und in andere Länder überführt werden. Deutschland sollte sich fortan auf Landwirtschaft und Handwerk beschränken.

Morgenthau argumentierte, dass ein agrarisches Deutschland keine Rüstungsindustrie aufbauen könne. Damit wäre das Land friedlich und abhängig von seinen Nachbarn, anstatt diese zu bedrohen. Der Morgenthau-Plan war somit nicht nur ein wirtschaftliches Konzept, sondern auch ein moralisches Projekt: Er wollte Macht durch Demut ersetzen und Gewalt durch Arbeit auf dem Land.

Kritik und Ablehnung des Plans

Der Morgenthau-Plan stieß bald auf heftige Kritik – nicht nur in Europa, sondern auch innerhalb der US-Regierung. Militärs, Diplomaten und Wirtschaftsexperten sahen in ihm eine Gefahr für die Nachkriegsordnung. Sie warnten, dass ein verarmtes Deutschland leicht anfällig für kommunistische Einflüsse werden könnte, insbesondere durch die Sowjetunion.

General Dwight D. Eisenhower und Außenminister Cordell Hull gehörten zu den schärfsten Gegnern des Morgenthau Plan. Sie argumentierten, dass Europa einen wirtschaftlich stabilen Partner brauche, um nach dem Krieg wieder aufgebaut zu werden. Auch Präsident Roosevelt distanzierte sich nach und nach von den radikalsten Teilen des Plans, insbesondere nachdem die öffentliche Meinung in den USA kippte.

Auswirkungen auf die Nachkriegsplanung

Obwohl der Morgenthau-Plan offiziell nie umgesetzt wurde, hatte er doch indirekten Einfluss auf die frühen Nachkriegsjahre. Die zunächst von den Alliierten beschlossene Politik der „industriellen Abrüstung“ trug deutlich Morgenthaus Handschrift. Viele Fabriken wurden nach Kriegsende stillgelegt, und Deutschland wurde in Besatzungszonen aufgeteilt. Erst mit dem Beginn des Marshallplans 1948 änderte sich die Richtung grundlegend – weg von Bestrafung, hin zu Wiederaufbau.

Interessanterweise nutzte Joseph Goebbels den Morgenthau Plan während der letzten Kriegsmonate als Propagandawaffe. Er stellte ihn als Beweis dafür dar, dass die Alliierten Deutschland vernichten wollten. Diese Propaganda stärkte den Durchhaltewillen vieler Deutscher und machte den Plan selbst Jahrzehnte später zu einem Symbol für Bestrafungspolitik.

Der Wandel der amerikanischen Politik

Nach Roosevelts Tod im April 1945 trat Harry S. Truman die Nachfolge an. Unter seiner Führung entfernten sich die USA schnell vom Morgenthau-Plan. Die beginnende Konfrontation mit der Sowjetunion veränderte die geopolitischen Prioritäten. Ein starkes, demokratisches und wirtschaftlich stabiles Westdeutschland erschien nun als Bollwerk gegen den Kommunismus.

Der Morgenthau Plan wurde daher stillschweigend beiseitegelegt, auch wenn einige seiner Grundideen – wie Entmilitarisierung und Demokratisierung – in der Besatzungspolitik erhalten blieben. Der Fokus verlagerte sich aber zunehmend auf den Wiederaufbau, der schließlich im Wirtschaftswunder der 1950er Jahre kulminierte.

Henry Morgenthaus Vermächtnis

Henry Morgenthau Jr. zog sich nach dem Ende des Krieges aus der Politik zurück, blieb aber bis zu seinem Tod 1967 eine umstrittene Figur. Befürworter sahen in ihm einen idealistischen Visionär, der mit dem Morgenthau-Plan einen neuen Weg der Friedenssicherung einschlagen wollte. Kritiker hingegen bezeichneten den Plan als naiv, grausam oder sogar kontraproduktiv.

Unabhängig von der Bewertung bleibt der Morgenthau Plan ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Emotion, Moral und Politik in Kriegszeiten ineinandergreifen. Er zeigt, wie tief der Wunsch nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in den Köpfen der Alliierten verankert war – aber auch, wie schwierig es ist, diese Gefühle in praktikable Politik umzusetzen.

Historische Bewertung des Morgenthau-Plan

Heute betrachten Historiker den Morgenthau-Plan als Spiegel der damaligen Ängste und Emotionen. Nach Jahren der Zerstörung suchten die Alliierten nach Wegen, künftige Konflikte zu verhindern. Morgenthaus Vorschlag war radikal, aber nicht ohne Logik: Wer die wirtschaftliche Macht bricht, nimmt dem Aggressor die Waffen. Doch die Realität der Nachkriegszeit zeigte, dass ein zerstörtes Deutschland keine Garantie für Frieden war – sondern ein Risiko für Instabilität.

Der Morgenthau Plan blieb somit ein Symbol für die Spannung zwischen Bestrafung und Wiederaufbau, zwischen Rache und Versöhnung. Er erinnert daran, dass Friedenspolitik immer auch von moralischen Dilemmata geprägt ist.

Fazit

Der Morgenthau-Plan war ein Produkt seiner Zeit – geboren aus den Schrecken des Krieges und dem Wunsch, ein erneutes Erstarken Deutschlands zu verhindern. Henry Morgenthau Jr. handelte aus Überzeugung, aber seine Vision erwies sich als zu extrem, um dauerhaft Bestand zu haben. Der Morgenthau Plan beeinflusste dennoch maßgeblich die Diskussionen über die Zukunft Europas und trug indirekt dazu bei, dass die Alliierten später einen ausgewogeneren Weg des Wiederaufbaus einschlugen.

Auch heute bleibt der Morgenthau-Plan ein Mahnmal dafür, wie schwer es ist, Gerechtigkeit, Sicherheit und Menschlichkeit in Einklang zu bringen. Er ist ein Kapitel der Geschichte, das zeigt, dass Frieden nicht durch Zerstörung entsteht – sondern durch Verständigung, Wiederaufbau und gemeinsame Verantwortung.

Von admin